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AnwaltsVerband Baden-Württemberg
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Gesellschaftspolitische Matinee 2019

Am 23. Mai 2019 richtete der Anwaltsverband Baden-Württemberg seine 7. Gesellschaftspolitische Matinee in Stuttgart aus. Zur Veranstaltung kamen mehr als 50 Gäste aus der Politik, den Landesministerien, der Justiz und verschiedenen Berufsvereinigungen. Unter der Leitung des SWR-Moderarors Michael Saunders diskutierten Markus Beckedahl von netzpolitik.org, Heiko Kretschmer von der strategischen Kommunikationsberatung Johanssen + Kretschmer sowie Stefan Leibfarth vom Chaos Computer Stuttgart über das Thema "Von der Information zur Denunziation - gefährden Apps die Demokratie?".

Prof. Kothe bei der Eröffnung der Matinee, v.l.n.r.: Heiko Kretschmer de´ge´pol), Stefan Leibfarth (CCC), Markus Beckedahl (netzpolitk.org) und Michael Saunders (Moderator)



RA Prof. Dr. Kothe mit Frau Horz (Präsidentin des OLG Stuttgart)
v.l.n.r.: Frau Meister (Direktorin AG a. D.), RAin Meixner (AVBW-Vorstand), RA Dr. Notz (AVBW-Vorstand), RA Dr. Meister (AVBW-Vorstand) und RA Dr. Wagner (AVBW-Vorstand)
RAin Hübner und RAin Kress (Vizepräsidentin des AV Stuttgart)
RA Freiherr von Eyb MdL (CDU)

RA Prof. Dr. Kothe mit MD Lotz (Ministerium für Justiz und Europa BW)
RA Krause mit RA Bächle (Vorstand RAK Stuttgart)
Dr. Miller (Präsident Landesärztekammer) mit RAin Eisenmann (AVBW-Geschäftsführerin) und Herrn Flohr (GF Landesärztekammer)
Frau Rudolph (Amtsgericht Stuttgart)
Dr. Das (Richter am Sozialgericht), RAin Bauer (AVBW-Schatzmeisterin)
Frau Keitel (Landeszentrale für politische Bildung) und Herr Staehlin (Geschäftsführer Fa. +zone research facilitation publication KG, Berlin)
VorsRi Hensinger (Pressesprecher des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg)
Kriminaldirektor a.D. Glaser mit Herrn Leibfarth (CCC Stuttgart)

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Der Präsident des Anwaltsverbandes, RA Prof. Dr. Peter Kothe, begrüßte die Teilnehmer mit dem tagesaktuellen Hinweis auf das Youtube-Video von Rezo "Zerstört die CDU", auf das die Partei bisher nicht zeitgemäß erwidern konnte.

Herr Beckedahl von netzpolitik.org erklärte, dass er einen guten Überblick nur über die Entwicklungen in Deutschland habe und meine, dass viel zu panisch befürchtet werde, dass Wahlen durch sog. Social Bots (Softwareroboter) mit Desinformationen beeinflußt werden könnten. Er denke eher, dass derzeit eine Art "Kulturkampf" stattfinde. So gebe es Einzelpersonen, die über bis zu 20 Twitter-Accounts verfügen und von dort ihre eher emotionalen, rechtspopulistischen - auf Verschwörungstheorien beruhenden - Nachrichten senden würden. Er halte Ergebnisse des Oxford Internet Instituts für glaubwürdiger, weil hier wissenschaftliche Methoden zugrundegelegt würden.

Auch Herr Leibfarth vom CCC gab Entwarnung, weil noch nicht hinlänglich untersucht sei, ob der Internet-Nutzer durch Desinformationen tatsächlich beeinflußt werde. Auch er halte die Social Bots für nicht so relevant. Ein Problem sehe er eher bei gezielter Wahlwerbung.

Herr Kretschmer erläuterte, dass ein "Targeting", wie man es aus dem Online-Handel kenne, möglich sei. So könnten Agenturen z. B. 17 verschiedene "Personas"" (Profile) anlegen, wie eine junge Frau mit Karrierezielen oder eine Familie mit Kindern. Diesen könnte man dann unterschiedliche Nachrichten schicken, in denen sie ihre Wünsche wierdererkennen sollen. Er meine aber, dass man mit solchen Methoden vielleicht nur die letzten 2% der Wähler umstimmen könne, was aber durchaus mal relevant sein könne.

"Fake News" seien nichts Neues. Das Problem sei, dass der seriöse Journalismus an Bedeutung verloren habe. Das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz von 2017 habe dazu geführt, dass beispielsweise Facebook viele neue Mitarbeiter in Berlin eingestellt habe, die Hassnachrichten löschen sollen.

Herr Beckedahl ergänzte, dass es aber leider keinen ausreichenden staatlichen Schutz für die Opfer von Hassnachrichten gebe, die zu einer abschreckenden Bestrafung der Täter führen würde. Die Täter würden die Grenzen des im Rahmen der Meinungsfreiheit Erlaubten nun clever ausnutzen. Das Opfer verstehe zwar die Bedrohung aber ein außenstehender Polizist, Staatsanwalt oder Richter eben nicht in gleicher Weise. Die Nutzer würden gegenüber den Social-Media-Plattformen zu bloßen Bittstellern nach deren jeweiligen Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Im nichtstaatlichen Bereich würden die Grundrechte nicht gleich stark wirken.

Er sehe ein großes Problem darin, dass Facebook, Youtube und Ähnliche über die Technik dazu verfügen würden, die Wahrnehmung der Realität durch die Menschen zu verändern.

Herr Kretschmer meinte, Regulierung sei hier grundsätzlich möglich und er erinnerte an den Sender "Russia Today". Mit seinem Fall der angeblich von einem Flüchtling vergewaltigten Lisa habe er die Berliner Landtagswahlen beeinflußt und der AfD zu guten Ergebnissen verholfen. Die Presseverantwortung müsse deshalb "ins Netz verlängert" werden. Die Politik sei hier bisher von den technischen Entwicklungen überrollt worden.

Herr Beckedahl halte den Ausbau der Digitalkompetenz, etwa der Smartphone-Nutzung, bei Jung und Alt für erforderlich. Man könne beispielsweise gut verständliche Informationssendungen im klassischen Fernsehen zeigen. Facebook (mit WhatsApp und Instagram), Google (mit dem Android-Betriebssystem und Youtube) sowie Amazon seien zu marktdominant. Entgegen bisheriger Versprechungen würden die Daten nun doch zusammengeführt.

Herr Leibfarth erklärte, dass Künstliche Intelligenz (KI) als Bekämpfungsmittel hier nicht vielversprechend sei, weil sie nur zu Selbstreproduktionen führe. Er forderte, dass der Gesetzgeber den Social-Media-Plattformen entsprechende Vorgaben machen müsse und dass nicht etwa umgekehrt die Plattformen die Spielregeln bestimmen können.

Herr Beckedahl ergänzte noch, dass sich beim Faktencheck die Frage stelle, wer diese Personen bezahle. Inzwischen würden die Bürger selbst Sender von Informationen sein, ohne aber eine fundierte journalistische Ausbildung und Medienkompetenz erlernt zu haben. Aus Nigeria wisse er beispielsweise, dass es dort nur WhatsApp und Facebook gebe. Allgemein herrsche dort ein geringer Bildungsgrad und es gebe mehrere Sprachen. Die Plattformen würden dort keine Verantwortung für die übermittelten Inhalte übernehmen, so dass Beeinflussungen der Meinungsbildungen tatsächlich leicht möglich seien.

Herr Kretschmer führte aus, dass die Menschen sich seiner Ansicht nach nur noch in sog. Echokammern mit einer Selbstbestätigungskultur befinden würden. Dort würde stark polarisiert und es gebe keine Grautöne mehr. Man könne das in Ungarn gut beobachten, wo die Gesellschaft bereits auseinandergedriftet sei.

Dem widersprach Herr Beckedahl. Er glaube nicht an diese Echokammern, sondern sehe es eher - wie eingangs schon gesagt - als "Kulturkampf". Die Ursachen dafür sehe er in der Deregulierung von Märkten und darin, dass weniger Geld für Infrastrukturen ausgegeben werde. Das seien die politischen Felder, auf denen agiert werden müsse.

Auf Nachfrage eines Zuhörers, ob es denn eine Lösungsmöglichkeit sei, in diese vermeintlichen Echokammern hereinzugehen und gegenteilige positive Nachrrichten zu verbreiten, verneinte er dies.

Auf die Frage aus dem Publikum, wie die Absicht Österreichs gesehen werde, eine Klarnamenpflicht einzuführen, erwiderte Herr Beckedahl, dass er dies nicht für gut halte. Wenn man die digitalen Informationen hier 7 Jahre speichern müsse, könnten Hacker versuchen, an diese Daten heranzukommen. Wenn die Bürger aber jahrelang befürchten müssten, dass ihre Identitäten doch auffliegen, würden sie allmählich lieber verstummen.

Er kritisierte auch, dass die Polizei fachlich nicht in der Lage sei, eine Anzeige, in der es um Beschimpfungen im Internet gehe, aufzunehmen. Zwar gebe es inzwischen einige Cyberstaatsanwaltschaften, aber diese seien - gemessen an der Bevölkerungszahl - zu wenig. Typische Täter von Morddrohungen gegenüber Frauen im Internet seien ältere Männer ab 50 Jahre.

Das Wahlrecht bereits ab 14 Jahren würde er befürworten, weil die junge Generation der übermächtigen älteren Generation Etwas entgegensetzen können müsse. Man müsse aufhören, im Internet Selbstbestätigungsdebatten zu führen, sondern solle lieber die Zusammenkünfte möglichst viel Verschiedener fördern.

Im Anschluss an die Diskussion hatten die Gäste Gelegenheit, sich untereinander und mit den Referenten in lockerer Athmosphäre weiter auszutauschen.


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