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AnwaltsVerband Baden-Württemberg
im Deutschen AnwaltVerein e.V.
Darstellung der drei Löwen des Baden-Württembergischen Wappens

AVBW Matinee 2015

Streik heute - bedarf es neuer Grenzen?

Aktueller hätte das Thema kaum sein können: Die Gewerkschaft der Lokführer (GdL) streikte erneut seit Tagen, der Warnstreik bei der Post in Karlsruhe lag gerade eine Woche zurück und für den nächsten Tag hatte die Gewerkschaft ver.di Streiks in den Kindertagesstätten von Stuttgart angekündigt.

Da inzwischen fast jeder von solchen Streikhäufungen betroffen ist, wollte der Anwaltsverband Baden-Württemberg am 7. Mai 2015 in seiner dritten gesellschaftspolitischen Matinee in Stuttgart der Frage nachgehen, ob der im Bundestag derzeit kursierende Gesetzentwurf zum Tarifeinheitsgesetz (nach dem betrieblichen Mehrheitsprinzip) in der Lage sein wird, die streikbedingten Probleme für die restliche Gesellschaft zufriedenstellend zu lösen oder ob noch andere Maßnahmen in Erwägung zu ziehen sind.

Dazu hat der Anwaltsverband

- Roland Wolf, den zuständigen Geschäftsführer der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA),

- den früheren GdL-Anwalt Ulrich Fischer,

- den Tarifjuristen Roman Romanowski der IG Metall Baden-Württemberg - die auch Mitglied im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) ist - sowie

- den langjährigen Vorsitzenden Richter beim Tarifsenat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) und ehemaligen Justizminister Thüringens Harald Schliemann

eingeladen. Unter Leitung des SWR-Moderators Jörg Assenheimer diskutierten die Experten vor rund 50 Gästen das Für und Wider des Gesetzentwurfs und mögliche andere Optionen.

 

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Herr Romanowski führte aus, dass die Gesellschaft auch zukünftig mit solchen Streiks rechnen müsse. Sie seien u. a. darauf zurück zu führen, dass die Wirtschaft immer komplexer, Staatsbetriebe privatisiert und nicht alle Arbeitgeber von sich aus Verbesserungen der Arbeitsbedingungen gewähren würden. Im Gegenteil, überall würde versucht, bei den Personalkosten zu sparen. Er würde gern am Grundsatz „ein Betrieb ein Tarifvertrag“ festhalten, müsse aber einräumen, dass es immer mehr Abgrenzungsprobleme gäbe, z. B. im Bereich industrienaher Dienstleistungen.

Früher habe das Prinzip der Spezialität gegolten. Es sei nun besser, sich an Branchen zu orientieren. Er sehe durchaus gestalterischen Handlungsbedarf für festgefahrene Tarifverhandlungen und verwies beispielsweise auf gegenseitig respektierte Verfahrensvereinbarungen zwischen den Tarifpartnern der Metall- und Elektroindustrie, die sog. „Hattenheimer Beschlüsse“. Diese würden seit 1984 die Friedenspflicht sowie die Zulässigkeit von Warn- und Erzwingungsstreiks unter Verhältnismäßigkeitsaspekten detailliert regeln. Eine Gewerkschaft sei nicht auf Streik aus, weil dies während der Dauer des Streiks mit Einkommensverlusten für die Gewerkschaftsmitglieder verbunden sei, die niemand wolle.

 

Herr Schliemann erläuterte, dass es in Deutschland kein kodifiziertes Streikrecht gäbe, sondern nur entsprechende Rechtsprechung. Die Arbeitsgerichte würden dabei keinen Programmsätzen folgen, sondern lediglich über das entscheiden, was ihnen angetragen wird. Beim Recht zu Streiken handele es sich um ein aus der Koalitionsfreiheit des Artikel 9 Grundgesetz abgeleitetes Recht. Bereits im Jahre 1949 habe man mehr als 50 Gewerkschaften gezählt.

Das BAG habe entschieden, dass Unterstützungsstreiks – zu unterscheiden von Sympathiestreiks - und auch Flashmob-Streiks zulässig seien. Obwohl die Auswirkungen solcher Streiks viel gravierender seien als die jetzt angedachte Regelung von Tarifkollisionen in einem Betrieb, sei es bisher nicht für nötig befunden worden, dass der Gesetzgeber aktiv wird. Auch bisher sei es üblich gewesen, dass einige wenige Mitarbeiter in Schlüsselpositionen, z. B. Müllmänner oder Stellwerksmitarbeiter, streikten, um Verbesserungen für viele andere Gewerkschaftsmitglieder zu erreichen.

Im Jahr 2010 sei die BAG-Entscheidung gefallen, mit der der Grundsatz der Tarifeinheit aufgegeben worden sei. Von einer Streikankündigungsfrist halte er wenig, da dies beispielsweise die Lufthansa wegen des Buchungsverhaltens der Passagiere genauso hart treffen würde, wie der eigentliche Streik. Er schlug ein Quorum vor, nach dem in einer Funktionseinheit nur dann gestreikt werden dürfe, wenn mehr als 50 Prozent der Belegschaft nicht mehr der Friedenspflicht unterliegen würden.


Rechtsanwalt Fischer plädierte dafür, dass die gewichtige Frage, wann ein Streik zulässig sein soll, endlich vom Gesetzgeber geregelt werden solle. Es sei unbefriedigend, dass über solche Fragen oft kleinere Gerichte im ländlichen Raum - und das auch noch im Eilverfahren - entscheiden müssten. Das mache die anwaltliche Beratung schwierig. So habe er mehrmals einander widersprechende Entscheidungen erhalten, ob die Arbeitsniederlegung nun primär im Fernverkehr oder Regionalverkehr zulässig sei. Bei der Schaffung eines solchen Gesetzes müsse auch geprüft werden, inwieweit man Bereiche der Daseinsvorsorge stärker reglementieren könnte.

 

Herr Wolf gab zu, dass das jetzt geplante Tarifeinheitsgesetz nicht alle Probleme löse. Dennoch halte er es für einen wichtigen Baustein, um der tariflichen Zerfaserung im Betrieb entgegenzuwirken. Mit dem Gesetz könne man beispielsweise einen Fall, wie bei Airbus in Hamburg, verhindern. Die Mehrheit des Personals dort sei Mitglied der IG Metall. Es gäbe aber 7 Mitarbeiter, die Mitglied in der Gewerkschaft der Fluglotsen seien. Wenn diese 7 Personen streiken, können sie einen Großteil des gesamten Airbusbetriebs lahm legen. Die Mitglieder der BDA wünschten sich deshalb lieber eine einheitliche Verhandlungssituation.

Allein bei der Deutschen Bahn gäbe es 320 Betriebe, in denen die Mehrheitsverhältnisse zwischen der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) und der GdL unterschiedlich verteilt seien. Wenn er an das Verhältnis Marburger Bund und ver.di denke, so könnte ein Arbeitgeber große Probleme bekommen, falls diese beiden kooperieren würden. Unter "Betrieb" verstehe er hier einen solchen im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes.

Herr Fischer und Herr Romanowski waren sich darüber einig, dass die Anknüpfung an den Betriebsbegriff im Gesetz kontraproduktiv sei. Ein Unternehmen könne aus mehreren Betrieben bestehen. Es sei abzusehen, dass die Gewerkschaften sich nun vermehrt im Betrieb Konkurrenz machen würden, z. B. bei Betriebsratswahlen. Genau damit würde der angestrebte Betriebsfrieden aber angegriffen.

Alle Referenten meinten, dass persönliche Befindlichkeiten unter den jeweiligen Verhandlungsführern nicht ursächlich für die Verhärtungen der Arbeitskämpfe seien. Dafür seien die dahinter stehenden Sachfragen von zu großer Bedeutung.

Nach reger Beteiligung aus dem Zuhörerkreis, in dem sich Vertreter der Justiz, anderer Gewerkschaften und Arbeitgebervereinigungen, aus der Landespolitik und von Unternehmen befanden, endete die gelungene Veranstaltung mit einem gemeinsamen Mittagessen.


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